Der Aufstand der freien Mitarbeiter beim LFH Thüringen bekommt Konturen. Die Mitarbeiter haben eine Liste ihrer Forderungen veröffentlicht.
Liebe Kollegen,
die Freien in Thüringen haben Ihre Forderungen gestellt. Wir veröffentlichen den Offenen Brief hier. Die unabhängigen Produzenten und Dienstleister in Thüringen werden mit den Freien sprechen, um Lösungen zu finden. Wir möchten dazu beitragen, diese vertrackte Situation zu entschärfen.
Offener Brief mit Forderungskatalog an die MDR-Verantwortlichen für das Landesfunkhaus Thüringen
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit Jahren verschlechtert sich die Situation der freien und selbstständigen TV-Schaffenden in Deutschland dramatisch. In Thüringen hat diese Entwicklung inzwischen Ausmaße angenommen, die ab sofort nicht mehr hingenommen werden können.
Die Honorare stagnieren seit mehr als einem Jahrzehnt auf dem gleichen nominalen Niveau. Das führte zu einer drastischen Verschlechterung der realen Einkommenssituation. Hinzu kommt, dass von vielen Freien und Selbstständigen inzwischen erwartet wird, in zehn statt der in Deutschland üblichen acht Stunden hochqualifizierte Leistung zu erbringen. Schließlich erzeugt das von Ihnen etablierte Modell der sogenannten „Rankingliste“, nach der ohne Berücksichtigung von Qualifikation, Erfahrung und Begabung des Personals immer automatisch der billigste Anbieter den Zuschlag bekommt, zusätzlichen Druck auf die Honorare. Dadurch besteht ein ausschließlich am Preis orientierter Bieter-Markt mit nur einem Haupt-Auftraggeber, was zwangsläufig nur eine preisliche Abwärtsspirale zulässt. Das bringt uns alle in Existenznot, wirft kartellrechtliche Fragen auf und führt darüber hinaus nach den Gesetzen der Marktwirtschaft (sofern von einem Markt überhaupt gesprochen werden kann) zu dauerhaften Qualitätsverlusten – ein fatales Signal im Hinblick auf den enormen Rechtfertigungsdruck, der aktuell auf dem öffentlich-rechtlichen Gebührenmodell lastet.
Um hier ein erstes Zeichen zu setzen, haben sich alle Beteiligten dazu entschlossen, in dieser Woche bis einschließlich Mittwoch jegliche Buchungen durch den Mitteldeutschen Rundfunk, seine Tochterfirmen und Thüringer Produzenten / Dienstleister abzulehnen, sofern ggf. geschlossene Verträge das zulassen.
Wir können das, da es uns – anders als den Festangestellten – jederzeit auch ohne das gewerkschaftliche Mittel des Streiks frei steht, die Auftragsannahme zu verweigern.
Für dieses Mal ist die Verweigerung noch nicht umfassend und nur für drei Tage vorgesehen. Wir wollen damit einen Blick eröffnen auf die Möglichkeit, eine solche Aktion über eine oder mehrere Wochen auszudehnen. Wir wissen, dass wir Ihnen bereits jetzt deutlich zeigen konnten, wie Ihre Auftragsvergabe- und Honorarpolitik der letzten Jahre direkt die Sendesicherheit des MDR gefährden kann, bereits jetzt und völlig spontan. Bitte stellen Sie sich vor, was alles erst möglich wäre mit einer länger vorbereiteten und konsequent organisierten Aktion, für die uns u.a. der Mitteldeutsche Produzentenverband MFFV, die Allianz Unabhängiger Filmdienstleister AUF und der Verein fairTV e.V. seine beratende und logistische Unterstützung zugesichert haben, wodurch wir auch auf eine sehr gute Vernetzung mit bundesweiten Berufsverbänden wie BVFK und BFS zurückgreifen könnten.
Vergessen Sie nicht: wir sind die, die Ihr Programm bereitstellen!
Wir haben daher mit Unterstützung von fairTV e.V. einen konkreten Forderungskatalog erstellt, den wir uns hiermit erlauben, an Sie heranzutragen, wobei wir in kurzfristige und mittelfristige Forderungen unterteilen:
KURZFRISTIGE FORDERUNGEN
1. SOFORTIGE Abschaffung des Modells „Rankingliste“
2. bis Ende 2015: Erhöhung von Budgets für externe Dienstleistungen und Eigenproduktionen auf ein Niveau, welches die freien Produzenten in die Lage versetzt, ihren freien und selbstständigen Editoren, Kameraleuten und Assistenten wenigstens die von fairTV e.V. empfohlenen Mindesthonorare zahlen zu können (konkret zu finden unter http://www.fairtv.net/index.php/empfehlungen; aktuell: Schnitt 230€/8h, Kamera 240€/10h, Assistenz 165€/10h, bitte Zuschläge beachten!)
3. bis Ende 2015: Erhöhung von Budgets für externe Dienstleistungen und Eigenproduktionen auf ein Niveau, welches die freien Produzenten in die Lage versetzt, ihren freien und selbstständigen Autoren ein Mindesthonorar in Höhe von 250 €/Tag zu zahlen
4. Auflagen an das Tochterunternehmen „mcs“, seinen freien und selbstständigen Mitarbeitern wenigstens die unter Pkt. 2 und 3 genannten Mindesthonorare zu zahlen und damit auch hier die Marktchancen von Tochterunternehmen und freien Produzenten einander anzugleichen
5. Auflagen an das Tochterunternehmen „mcs“, entsprechend der Herstellungsordnung des MDR auch tatsächlich „marktüblich“ zu agieren und nicht durch permanentes, grundsätzliches Unterbieten aller anderen Angebote den Markt zu definieren (vgl. Pkt. 4.4 Herstellungsordnung)
MITTELFRISTIGE FORDERUNGEN
1. Aufnahme von ernstgemeinten (!) Verhandlungen über ein zukunftsfähiges Konzept zur Neugestaltung vor allem des Honoraranteils an den Budgets des MDR für freie Produktionen und Dienstleistungen; fairTV hat hier in einem (lt. dem Verein bisher unbeantworteten) Brief an die MDR-Intendanz aus dem Juni 2015 viele überzeugende Vorschläge gemacht und muss daher zwingend an den Verhandlungen beteiligt werden
2. Durchsetzung der normalen Tagesarbeitszeit des MDR von 8h für alle Gewerke sowohl bei freien Produktionen als auch beim Tochterunternehmen „mcs“ nach dem Modell von fairTV e.V. aus dem Sommer 2012; dazu entsprechende Ausschreibungstexte sowie Anhebung der Budgets
3. Bereinigung der Herstellungsordnung um Inhalte, nach denen Tochterfirmen bevorzugt behandelt werden müssen, insbesondere in Pkt. 4.4 „Eigenleistung vor Fremdleistung“, da die Bezeichnung von Tochterunternehmensleistungen als Eigenleistungen Marktprinzipien aushebelt und mutmaßlich sogar im Widerspruch zu Auflagen der EU gesehen werden kann (vgl. „Beihilfekompromiss“ aus 2007; E3/2005 Ziffer 76)
4. Grundsätzliche Neuausrichtung der Vergabestruktur des Landesfunkhauses Thüringen, um die Dominanz der derzeit marktbeherrschenden Tochterfirma „mcs“ zu relativieren und so die Weichen für einen wieder attraktiven Film- und TV-Standort Thüringen zu stellen
Wir hoffen, dass Sie schnell mit uns den Dialog suchen und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Diana Becht-Zwetkow, Christian Beer, Harry Carius, Alice End, Elisa Heiland, Hartmut Kehr, Achim Köhler, Marc Neblung, Jesper Opitz, Robert Riedel, Rouge Reinsperger, Ronny Schönknecht, Claudia Schönknecht, Alexis Triebel, Siegfried Umbreit, Benjamin Zeising
(in Vertretung für viele weitere Thüringer TV- und Filmschaffende)
Kontakt: film-und-tv-schaffende-thueringen@gmx.de
Offener Brief der Freien im Original
Foto: MDR/Jehnichen